Gebetbücher waren im Mittelalter die Literatur des Volkes. Trotz ihrer weiten Verbreitung sind sie bis heute kaum erforscht. Ein Projekt an der Universität Freiburg untersucht sie nun erstmals grundlegend. Projektleiter Stefan Matter spricht von mehreren 1000 Handschriften.




 
 

Bestseller des Mittelalters

Forschung zu deutschsprachiger Gebetbuchliteratur des Mittelalters

Der Freiburger Germanist und Privatdozent Stefan Matter untersucht derzeit mit einem fünfköpfigen Team deutsche Gebetbücher aus dem Mittelalter. Das vierjährige Projekt, welches letzten Sommer begonnen hat, wird vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt. «Wir sprechen aber sicher von mehreren 1000 Handschriften. Jede von diesen umfasst 100 bis 200 Texte, so dass wir hochgerechnet von bis zu einer Million Texten ausgehen können», erklärt Stefan Matter in einem Interview mit den «Freiburger Nachrichten». Häufig handle es sich dabei aber um sehr kurze, nur ein bis zwei Seiten lange Texte, die sich inhaltlich oft überschneiden, da sie teils über Hunderte von Jahren immer wieder reproduziert wurden. Erhalten geblieben ist nur ein Bruchteil des ursprünglichen Bestandes. Handschriften wurden ja nicht technisch reproduziert, sondern von Hand abgeschrieben, benutzt und über Generationen immer wieder weitergegeben.

Stefan Matter ist nicht Theologe, sondern Germanist und Mediävist. «Wir haben ein literaturwissenschaftliches Interesse an diesen Texten und unsere Fragestellungen aus dieser Perspektive heraus entwickelt. Die Überschneidungen zur Theologie sind allerdings gross. Wir holen uns auch Rat bei theologischen Fachkollegen», führt er in den «Freiburg Nachrichten» weiter aus. Matter hat daher noch eine weitere Motivation, um sich des Themas anzunehmen, schreibt «Universitas», das Wissenschaftsmagazin der Universität Freiburg: «Im Mittelalter formten Gebetbücher das Weltbild der Menschen. Gute Christen beteten mehrmals täglich damit. Sonntags nahm man das Buch mit in die Kirche, und auch auf Reisen war es stets dabei. Gebetbücher definierten, wo der Mensch in einer von Gott geschaffenen Welt steht, was er zu tun und zu lassen hat». Daher folgert Matter: «Gebetbücher waren die Literatur des Volkes. Sie sind die Besteller der damaligen Zeit.»


Für Matter kommen die Werke einem «ungehobenen Schatz» gleich. Denn trotz ihrer Bedeutung hat sie die Forschung bis anhin vernachlässigt. Die enorme Menge machte das Thema sperrig; zu gross war der Aufwand, sie aufzuarbeiten. Dank den Möglichkeiten der Digitalisierung hat sich das nun geändert. Einmal gescannt, lassen sich die Werke nun schneller und einfacher am Bildschirm vergleichen. Welche Gebete kommen in welchen Büchern vor? Welche sind besonders häufig und waren also besonders beliebt? Matter will noch mehr, erklärt er in «Universitas»: «Davon ausgehend, dass Gebetbücher das Weltbild des Mittelalters formten, hat ihre Erforschung auch mit grundlegenden Fragen zu tun: Worauf baut unsere Gesellschaft auf? Was macht uns zu dem, was wir heute sind? Indem wir unsere Vergangenheit erforschen, lernen wir unser Denken und Handeln in der Gegenwart verstehen». Wenn Matter über Gebetbücher forscht, so forscht er also über sich selbst. Und über uns alle.

 


Herzlich, Markus Baumgartner

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