Viel Applaus erhielt Pfarrer Christoph Sigrist für seine lebendigen Kanzelworte und den liturgischen Mix im Zürcher Grossmünster: christliche Andacht mit politischer Komponente und ökumenischem Akzent; Bruder-Klaus-Gebet, Luther- und Bonhoeffer-Zitat, apostolisches Glaubensbekenntnis. Das ergab der «Kirchencheck» des «Tages Anzeiger».




 
 

Pfarrer überzeugt 500 Jahre nach Zwingli

Brot in Schuhe verwandelt

In der Predigt von Pfr. Dr. Christoph Sigrist, 53 mit Dissertation zum Thema Diakonie, geht es um Hunger. «Das Grossmünster ist an diesem Sonntag voll, die Besucherinnen und Besucher auch, alle wohlgenährt und warm angezogen», schreibt der «Tages Anzeiger». Wozu brauchen sie Himmelsbrot, «das wahre Brot , Brot des Lebens», wie es in der Lesung (Joh, 6,30–35) heisst? Altbacken! Zu Hause wartet der Butterzopf. Und sowieso: Brot kann schimmeln, hart werden, zu viel macht dick, und wer nicht dick werden will, hungert gern freiwillig. Modern Times. «Christoph Sigrist ist auch nicht von gestern, seine Bibelauslegung schreit nach Zalando. Er predigt statt vom Brot – von Schuhen Aber vor allem erzählt er von Almut, die keinen Zahn mehr im Mund und kein Geld hat», so der «Tages Anzeiger» weiter.

 

Der Grossmünster-Pfarrer hat Almut vor kurzem in Mannheim kennen gelernt. Er war Gastprediger in der evangelischen Vesperkirche Konkordien. Dort erhalten Tausende Arbeits- und Obdachlose, Rentner, Geringverdienende und Kranke während vier Winterwochen gratis warmes Essen, medizinische Versorgung und vor allem Wertschätzung. Rund 60 Ehrenamtliche sind für die Bedürftigen da – auch für Almut. Sie singt im Gottesdienst-Chor und hilft «denen, denen es noch beschissener geht»; sie engagiert sich bei der Essensverteilung. Das gebe ihr Halt, erzählte sie dem Zürcher Pfarrer. Als sie einander begegneten, hatte Almut gerade nigelnagelneue, knallrote Stiefel bekommen. Spender haben der Vesperkirche 300 Paar Schuhe gebracht. Die zahnlose Frau habe gestrahlt. Ohne Zähne, ein Anblick «zum Göisse», erinnert sich Sigrist. «Endlich habe ich auch mal Glück!», hatte sie gesagt. Almut ging nach diesem Tag in der Vesperkirche satt heim, in ihre Gartenlaube am Stadtrand. Wo geteilt wird, muss niemand hungern. Das ist die Predigtbotschaft.

 

Es war dieses Jahr schon die fünfte Predigt zum Johannesevangelium im Grossmünster. Hier begann Ulrich Zwingli 1519 mit der Lectio continua, der fortlaufenden Schriftauslegung. Mit der Predigtreihe, die bis kurz nach Ostern weitergeführt wird, folgt das Grossmünster-Pfarrteam dieser Tradition. Den lang anhaltenden Applaus am Schluss des Gottesdienstes haben das Jodel-Doppelquartett TV Adliswil und die Alphorngruppe Türlersee für ihre Aufführung der Jodlermesse von Jost Marty (1920–1988) verdient, schreibt der «Tages Anzeiger». Aber auch der Pfarrer für seine moderne Arbeit gemäss dem englischen Humanisten Thomas Morus: «Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.» Genau das macht Sigrist. Mit dem Blick aufs Heute und glühendem Eifer.

 
 
Herzlich, Markus Baumgartner
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