Das fulminante Buch über das Urchristentum des Intellektuellen Emmanuel Carrères wurde in Frankreich zum Bestseller. «Das Reich Gottes» ist stark autobiografisch gefärbt und führt in die Tiefen von Glauben und Zweifel.






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Das Reich Gottes

Verkaufserfolg eines Agnostikers über das Evangelium

Auch als «glücklicher Agnostiker» ist Emmanuel Carrère fasziniert von dem «unförmigen, wunderbaren mongoloiden Kind, das man Christentum nennt». Das schreibt er in der Mitte seines Buches «Das Reich Gottes». Erst auf der letzten Seite erklärt er, was es mit dem mongoloiden Kind auf sich hat: Es geschieht bei den Einkehrtagen einer Arche-Gemeinschaft des Theologen Jean Vanier, der mit Behinderten arbeitet. Zum Abschied singen alle das Loblied «Jesus ist mein Freund». Da steht Elodie vor ihm, das Mädchen mit dem Downsyndrom. Mit seiner hingebungsvollen Freude animiert es ihn zum Mittanzen und Mitsingen. Carrère muss «wohl oder übel zugeben, dass ich an diesem Tag einen Augenblick lang flüchtig erahnt habe, was das Reich Gottes ist», wie der «Tages Anzeiger» berichtet.

 

Dabei weiss Carrère nur zu gut, dass Jesus das Reich Gottes den Armen, Bedürftigen und Mongoloiden versprochen hat. Er hat aber als Spross aus bürgerlich-intellektuellem Haus, Sohn der gelehrten Historikerin an der Spitze der Académie Française, Hélène Carrère d’Encausse, und seit ein paar Jahren selber ein preisgekrönter Romancier und Drehbuchautor ein schweres Erbe. Er ist intelligent, wohlhabend und erfolgreich – erfüllt also die Kriterien für das Reich Gottes gerade nicht.

 

Oder doch? Der Autor scheint ein schwieriger Mensch zu sein: Verzagt, ehemüde, zu Depressionen und Sarkasmus neigend, hatte er sich in Paris von Couch zu Couch geschleppt, wie der «Tages Anzeiger» schreibt. Am Anfang des Buchs beschreibt er seine Existenzkrise vor über 20 Jahren. Doch plötzlich beschert ihm eine Bekehrung einen «Frühling der Seele»: «Das Eis bricht, das Wasser sprudelt, die Bäume treiben Knospen. Du bist glücklich.» Er krempelt sein Schriftstellerleben um, geht täglich zur Messe, betet, meditiert und übersetzt das Johannes-Evangelium. Doch der Eifer erlahmt, das Desinteresse macht sich Tag für Tag breiter, er fällt vom Glauben ab und ist gar glücklich darüber.

 

Den Schlüssel zum ungewöhnlichen Buch liefert der Satz: «Nein, ich glaube nicht, dass Jesus auferstanden ist, ich glaube nicht, dass ein Mensch von den Toten zurückgekehrt ist. Aber man kann es glauben, und dass ich es selbst geglaubt habe, weckt meine Neugier, fasziniert, verwirrt mich, wirft mich aus der Bahn.» Es animiert ihn nachzuforschen, was Juden und Heiden vor 2000 Jahren dazu gebracht hat, an die Auferstehung zu glauben. So entfaltet er auf 400 Seiten die Entstehungsgeschichte des Lukas-Evangeliums. Die Sprache von Jesus ist es, die ihn von seiner Existenz überzeugt. Diese Art der Sprachbeherrschung kenne in der Geschichte keine Parallele, «es ist diese sprachliche Einmaligkeit, die für denjenigen, der ein wenig Gehör dafür besitzt, keinen Zweifel lässt, dass dieser Mensch gelebt und so gesprochen hat».

 

Herzlich, Markus Baumgartner

 

 

Das Buch: Emmanuel Carrère, Das Reich Gottes, aus dem Französischen von Claudia Hamm. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2016, 524 S., ca. 40 Fr.

 
 
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