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Der Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren hat viel mit den Kirchen zu tun. Das Ereignis zeigt: Kirche und Glauben können auch in der heutigen Zeit Einfluss auf die Weltpolitik haben – und dies ohne realpolitische Macht.
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Glaube liess die Mauer fallen Was friedliche Demonstration vor 25 Jahren erreichteBis heute ist nicht endgültig geklärt, warum am 9. Oktober 1989 in Leipzig nicht gewaltsam gegen die Demonstranten vorgegangen wurde. Vieles spricht dafür, dass die SED-Führung von der Masse der Demonstrationsteilnehmer schlichtweg überfordert war. Denn entgegen den Erwartungen nahmen 70’000 Teilnehmer an der Demonstration teil. Zudem lieferten die Demonstranten der Staatsmacht keinen Grund für ein Eingreifen, denn die lediglich mit Kerzen und Gebeten bewaffneten Menschen machten Gewaltlosigkeit zu Ihrem obersten Gebot. Dies spiegelt auch die Aussage von Horst Sindermann vom SED-Zentralkomitee wieder, der geäussert haben soll: «Wir waren auf alles vorbereitet – nur nicht auf Kerzen und Gebete.»
Die traditionell in Ostdeutschland starke evangelische Kirche ist die einzige Organisation geblieben, die Raum für Debatten und Bürgerorganisationen bietet, schreibt die «NZZ am Sonntag» zum 25-Jahr-Jubiläum des Mauerfalls am letzten Wochenende. Pfarrer Rainer Eppelmann organisiert den «Demokratischen Aufbruch», der später in der West-CDU aufgeht. Pfarrer Markus Meckel lässt die Sozialdemokratische Partei im Osten wieder aufleben, welche sich später der West-SPD anschliesst.
Für den Untergang der Sowjetunion und ihrer kommunistischen Satellitenstaaten gab es viele wirtschaftliche und politische Gründe. Unabdingbar war auch die spirituelle Dimension, die der polnische Papst Johannes Paul II. verkörperte, schreibt die «NZZ am Sonntag» weiter. Gorbatschow schrieb später: «Alles, was in den letzten Jahren in Osteuropa geschah, wäre ohne Gegenwart dieses Papstes nicht möglich gewesen.» Johannes Paul II. hatte die Kühnheit, zu glauben, dass die kommunistischen Diktaturen überwunden werden könnten. Er schafft es mit drei Worten: «Non abbiate paura!», sagte er in seiner allerersten Predigt als Papst. «Fürchtet euch nicht!», wiederholte er bei seinem Besuch in Polen unzählige Male. Er verbreitete Furchtlosigkeit und beendete die Vereinzelung der Menschen. Als Folge des Papstbesuchs wird in Polen wenige Monate später mit Solidarnosc die erste freie Gewerkschaft des Ostblocks gegründet.
Wie in Polen entwickelte sich auch in der DDR die Kirche zu einem der wenigen Orte, wo überhaupt Dissens möglich war. Für junge Menschen, die sich im inneren Widerstand zum DDR-Regime befanden und ein geisteswissenschaftliches Fach studieren wollten, kam nur Theologie infrage. Auch das erklärt die wichtige Rolle der Pastoren bei den Protesten von 1989. Die Kirchen organisierten aus Protest Friedensandachten mit einem cleveren Symbol: ein Stück Stoff – das Bedrucken von Papier unterlag der Zensur – mit dem biblischen Spruch «Schwerter zu Pflugscharen», der beim Propheten Micha zu finden ist. Aus der Aktion entwickelten sich die Friedensgebete in der Nikolaikirche in Leipzig, die anfangs nur wenige Leute anzogen, sich aber später zu den machtvollen Kundgebungen im Herbst 1989 auswuchsen.
Herzlich, Markus Baumgartner
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