Rund 180 Asylsuchende treffen sich einmal pro Woche im Kirchgemeindehaus Aussersihl. Sie büffeln Deutsch und erhalten ein Gratis-Mittagessen.




 
 

Zürichs grösstes Klassenzimmer

Deutschunterricht mit Mittagessen verbinden

«Aufbringen, abarbeiten, abbrechen – was heisst das?», will eine junge Afghanin von Remo, ihrem Lehrer, wissen. Sie lebt seit knapp einem Jahr mit ihrem Mann und dem siebenjährigen Sohn in Bassersdorf und spricht erstaunlich gut Deutsch. «Die Menschen, die zu uns kommen, sind hoch motiviert und wissbegierig», sagt der Lehrer. Wobei Lehrer in diesem Fall ein dehnbarer Begriff ist. Remo ist nämlich Mathematiker und mit seinen 70 Jahren schon längst pensioniert, schreibt der «Tages Anzeiger».

Auch die Schule ist eigentlich keine Schule, sondern ein Saal im Kirchgemeindehaus Aussersihl. Dieser verwandelt sich am Freitag jeweils für ein paar Stunden in das grösste Klassenzimmer der Stadt. «Obwohl so viele Kulturen und Religionen zusammenkommen, hat das bisher weder zu Streit noch zu anderen Problemen geführt», sagt die Verantwortliche Ruth Schucan. Die Menschen kommen aus Afghanistan, Syrien, dem Iran, dem Irak, Tibet, Sri Lanka und aus Teilen Afrikas. Sie sprechen nicht nur alle eine andere Sprache, sie schreiben vielfach auch ein anderes Alphabet. Es sind vor allem Asylsuchende, die zum Teil schon seit Jahren auf einen Entscheid warten.


Einen Stock tiefer in der Küche ist Paul damit beschäftigt, die Nahrungsmittel auszupacken, die er am Morgen eingekauft hat. Er ist Koch und ebenfalls Rentner. Küchenchef ist der 32-jährige Nageeb aus Afghanistan. Er ist eigens aus Sarnen angereist, um in seinem angestammten Beruf arbeiten zu können – gratis, wohlverstanden. Unter seiner Regie entsteht im Nu ein schmackhaftes Menü: Reis mit Linsen und Gemüse zu sagenhaft günstigem Preis. Für die Mahlzeit für 200 Personen hat Paul gerade mal 150 Franken bezahlt.


Die Idee, Deutschunterricht mit einem Mittagessen zu verbinden, ist vor fünf Jahren entstanden. Damals wurde das Solidaritätsnetz Zürich gegründet. Die Leitung übernahm Ruth Schucan, frisch pensioniert und auf der Suche nach einer neuen Aufgabe. «Ich wollte eine sinnvolle und konkrete Arbeit haben und gleichzeitig etwas gegen die populistische Ausländerfeindlichkeit tun», sagt sie heute. Das Angebot ist gefragt und hat sich in fünf Jahren stark entwickelt. Am Anfang unterrichteten 5 Freiwillige 17 Asylsuchende. Heute sind es 30 Lehrer, die sich um 150 bis 180 Schülerinnen und Schüler kümmern, darunter auch Migranten und anerkannte Flüchtlinge. Das Kirchgemeindehaus Aussersihl ist nicht der einzige Ort, an dem sich Asylsuchende mit Deutschunterricht ein Mittagessen verdienen können. Auch in der Kirche Felix und Regula und an der Autonomen Schule wird diese Kombination mit Erfolg angeboten.


Herzlich, Markus Baumgartner

 
 
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