Prägend für Schweizer Krebsmedizin

Brustkrebsspezialist erlebt 50 Jahre Wandel in der Medizin

Von der Amputation und Bestrahlung zur differenzierten Brustkrebstherapie: Kein anderer Arzt hat diesen Wandel in der Schweiz mehr gefördert als Hans-Jörg Senn. Der Professor ist vor kurzem von der europäischen Gesellschaft für medizinische Onkologie für seine Verdienste im Kampf gegen Krebs geehrt worden. Der 77-Jährige kann auf 50 Jahre Medizingeschichte zurückblicken.
Senn hat vor seinem Entscheid für die Medizin mit der Theologie geliebäugelt. Die Krebsmedizin sei dann auf der Hand gelegen, als Verbindung von Leib- und Seelsorge. Vor 13 Jahren hat Senn das Tumor- und Brustzentrum (ZeTuP) als Privatpraxis in St. Gallen aufgebaut – kurz vor seiner «Zwangspensionierung» als Chefarzt am Kantonsspital St. Gallen. Inzwischen führt das auf Vorsorgeuntersuchungen und ambulante Krebsbehandlungen spezialisierte Zentrum jährlich 12’000 Konsultationen durch.
Mit 77 Jahren sieht Senn, der immer noch wissenschaftlicher Direktor des ZeTuP ist, nicht mehr täglich Patienten. Er versuche, sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen, so der fünffache Grossvater. Spätestens mit 80 wolle er sein Büro geräumt haben. Wie kein anderer praktizierender Arzt gehört Senn zur ersten Garde von Schweizer Onkologen. Als er 1961 als Assistenzarzt begann, gab es das Fach noch nicht. Für seine Weiterbildung musste er in die USA. Zurück in der Schweiz, baute er in Basel die Krebsstation auf, bevor er 1973 als Chefarzt ans Kantonsspital St. Gallen berufen wurde.
1978 gründete er den St. Galler Brustkrebskongress: Was mit 79 Personen begann, ist zu einem Mega-Event mit heute 5000 Teilnehmern geworden. Möglicherweise könne in Zukunft ganz auf Operationen verzichtet werden. Dafür müsse der Krebs aber frühzeitig entdeckt werden. Dies sei nur mit flächendeckenden Mammografie-Programmen möglich, betont Senn, ein Vorreiter auch auf diesem Gebiet. Für Beat Thürlimann, Senns Nachfolger im Brustzentrum am Kantonsspital St. Gallen, gehört Senn zu den wenigen Schweizer Ärzten, die nicht nur als Kliniker und Forscher internationales Ansehen geniessen, sondern auch in der Patientenversorgung und Berufsentwicklung Grosses geleistet haben.
Hat der grosse alte Mann der Schweizer Onkologie selber Angst vor Krebs? Nein, sagt Senn, obwohl er Grund dazu hätte. Seine Mutter ist an Lymphkrebs gestorben, da war er zehn. «Vielleicht war das ein Schlüsselerlebnis.» Damals habe man seiner Mutter nicht helfen können, heute wäre ihr Krebs heilbar. Trotzdem sollten sich Ärzte nicht zu wichtig nehmen, meint Senn warnend. Denn neben der menschlichen, gebe es auch eine göttliche Sicht. Am Schluss entscheide ein anderer, so der gläubige Christ. Eine geistliche Ebene sei für einen Arzt, der ständig mit Leid und Sterben konfrontiert sei, sehr wichtig, ist Senn überzeugt. Der Glaube sei auch ein Ventil, um Dampf abzulassen.
Herzlich, Markus Baumgartner
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