Graffiti gegen Kirchensterben

Wie ein Sprayer zum Segen einer Kirche wird

Der katholischen Dorfkirche im baden-württembergischen Goldscheuer drohte das Schicksal Hunderter Gotteshäuser in Deutschland: Gläubige bleiben weg, Schliessung, Abriss, Aus. Von den rund 2200 Einwohnern in Goldscheuer sind rund 1200 Katholiken. Zuletzt kamen sonntags weniger als drei Prozent der Gläubigen in die Messe. Als Pfarrer Thomas Braunstein, 47, die Kirche übernahm, begann für ihn eine Zeit des Bangens. Das Erzbischöfliche Ordinariat knüpfte den Verbleib des Gotteshauses an Bedingungen: Spenden mussten her, um einen Teil der Renovierung zu finanzieren.
Es stand aber schlecht um die Dorfkirche von Goldscheuer. Sie war marode, die Fassade trostlos, die Innenwände waren von den Heizungen zum Teil schwarz geworden. Dann kam der Street Artist Stefan Strumbel, 32, aus dem benachbarten Offenburg auf die Gemeinde zu. Die Geschichte eines göttlichen Rettungsplans. Pfarrer Thomas Braunstein war von den Ideen des Graffiti-Künstlers begeistert. Sie einigten sich darauf, dass Strumbel den kompletten Innenraum der Kirche neu gestalten darf. Bei einem Baustellengottesdienst wurde die Gemeinde mit ins Boot geholt.
Jetzt leuchtet hinter dem Gekreuzigten ein LED-Band in wechselnden Farben. Es entstand eine rund sechs Meter hohe Madonna. Dabei kam Maria unter die Haube – mit Hanauer Tracht und einer Schleifenhaube. An zwei Wänden im Eingangsbereich wurden weiss lackierte Sprechblasen aufhängt. Das Licht der Kerzenflammen schimmert in den Blasen, Symbol für die stillen Wünsche der Gläubigen. LED-Bänder, Streifenoptik und Comic-Elemente in einer Kirche? Das klingt nach einer kleinen Revolution. Doch Strumbel stiess auf erstaunlich wenig Widerstand beim Ordinariat, obwohl "jeder Zentimeter genehmigt werden musste".
So wie einst während der Epoche der Renaissance Künstler wie Michelangelo oder Raffael die Kircheninnenräume mit grossartigen Fresken schmückten, gestaltete Stefan Strumbel das Kirchenschiff der katholischen Kirche aus. Was Strumbel und Michelangelo verbindet, ist das Provokationspotenzial: Als Papst Julius II. den Auftrag zur Ausmalung der Sixtinischen Kapelle 1508 dem Florentiner Künstler erteilte, waren konservative Kreise schockiert, dass ein formal und inhaltlich so avancierter Künstler seine damals umstrittene Kunst an so prominenter Stelle zeigen durfte. Und Strumbels provokative Strassenkunst war bisher auch noch nicht in einer Kirche denkbar. Die Leute im erzbischöflichen Bauamt und in Goldscheuer hofften mit dem Werk von Strumbel auf einen Überraschungs-Effekt. Schliesslich dürfte er der erste Street Artist sein, der in Deutschland eine Kirche ausmalte. Heute nennt der Pfarrer den Künstler "ein Geschenk des Himmels".
Darüber haben die Badische Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Spiegel Online und ZDF-Kultur berichtet.
Herzlich, Markus Baumgartner
 
 
Das DienstagsMAIL ist eine nicht-kommerzielle und kostenlose Dienstleistung für Christen, die ihr Engagement öffentlichkeitswirksamer gestalten wollen. Das DienstagsMAIL wird von einem Kommunikationsprofi in seiner Freizeit verfasst. Die praktischen Tipps sollen mithelfen, dass Christen verstärkt in der Gesellschaft wahr genommen werden.