Kirche im Untergrund

10-Jahr-Jubiläum der Zürcher Bahnhofkirche

Morgens im Hauptbahnhof Zürich versteht man den Schweizer Schriftsteller Blaise Cendrars, der Bahnhöfe die «schönsten Kirchen der Welt» nannte. In Zürich findet jeden Tag eine Völkerwanderung gigantischen Ausmasses statt: 700’000 Schuhsohlen aus 1500 Zügen schlängeln sich jeden Tag von 26 Geleisen durch die 24 Meter hohe Bahnhofhalle. Für mehr als 3000 Menschen ist die Bahnhofstadt auch Arbeitsort: Ärztinnen, Köche und Polizisten verdienen hier ihr tägliches Brot, Gepäcklogistiker, Floristinnen und Billettverkäufer. Selbst zwei Pfarrer und eine Vogelkundlerin arbeiten hier. Es gibt 104 Läden, 31 Restaurants und Imbissstände, dann auch Arrestzellen, einen Markt, einen Naturpark – und seit zehn Jahren eine Bahnhofkirche.
Während verschwitzte Pendler ausser Atem auf den 7-Uhr-Zug aufspringen, stellt sich Pfarrer Roman Angst vor seine Gemeinde und liest das Weg-Wort wie das «NZZ Folio» schreibt: «Was nützt die Eile, wenn du sie nicht mit Weile angehst? Also: Mach es nicht wie die Gehetzten dieser Welt, dass du schon beim letzten Schluck Kaffee aufstehst und noch mit der Zahnpaste im Mund Schuhe und Mantel anziehst. Mach es nicht wie die Gehetzten dieser Welt, dass du der Liebsten einen Abschiedskuss gibst und mit den Gedanken schon im Geschäft bist. Sei weg, wenn du weg bist, aber wenn du da bist, sei auch da.» Die fünf Personen, die ihm zuhören, gehören nicht zu den Gehetzten dieser Welt. Sie haben bei der Rolltreppe zum Zwischengeschoss innegehalten, sind hinuntergefahren zur Kirche im Untergrund und haben sich im Raum der Stille auf einen der Holzstühle gesetzt.
Roman Angst war reformierter Gemeindepfarrer in Rafz, bevor er Familien- und Ehetherapeut wurde. Sein katholischer Kollege Toni Zimmermann arbeitete 13 Jahre lang als Gefängnisseelsorger in Regensdorf. Gemeinsam riefen sie vor zehn Jahren die Kirche im HB als ökumenisches Angebot ins Leben. Darüber berichten der «Tages Anzeiger» und Radio «Life Channel» (www.lifechannel.ch/artikel/13628.html). Die Hauptarbeit der Pfarrer ist die Seelsorge. Menschen, die Rat und Beistand suchen. Die meisten sind auf dem Weg zur Arbeit und haben keine enge Beziehung zur Kirche. Die Kirche im Bahnhof wird häufiger besucht als die Kirche im Dorf, weil die berufstätigen Menschen am Morgen und am Abend mit anderen Dingen beschäftigt sind. Während des Tages können sich die Menschen eher eine Auszeit nehmen. «Wir verstehen uns daher als eine Kapelle am Weg für die Menschen, die durch den Hauptbahnhof gehen», sagt Roman Angst.
Das 10-Jahr-Jubiläum der Bahnhofkirche wird am 28. Mai mit einem Fest gefeiert. In dieser Zeit gab es über 1,5 Millionen Besuchende in der Kapelle, über 20'000 Seelsorgegespräche und mehr als 300'000 entzündete Kerzen. Zum Jubiläumsanlass publizieren die beiden Bahnhofpfarrer das Buch «Weg-Worte aus der Bahnhofkirche Zürich für 260 Werktage im Jahr».
Herzlich, Markus Baumgartner
P.S. In der Beilage finden Sie den Bericht zum Dienstagsmailfest mit den Gewinnern des Awards für gelungene Öffentlichkeitsarbeit.
 
 

Gewinner Award für gelungene Öffentlichkeitsarbeit

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